
Anton Tschechow – Arzt, Schriftsteller, Freigeist
Beiträge . Walhalla„Schreiben Sie doch mal eine Erzählung darüber, wie ein junger Mensch, Sohn eines Leibeigenen, seinerzeit Ladenschwengel, Kirchensänger, Gymnasiast und Student, erzogen zur Ehrfurcht vor Ranghöheren, zum Küssen von Popenhänden, zur Verbeugung vor fremden Gedanken, zur Dankbarkeit für jedes Stückchen Brot, oft verprügelt, ohne Galoschen zum Unterricht gegangen, der sich geprügelt hat, Tiere gequält hat, gern bei reichen Verwandten gegessen hat, ohne Notwendigkeit geheuchelt hat vor Gott und den Menschen, nur aus dem Bewußtsein seiner Minderwertigkeit – schreiben Sie, wie dieser junge Mensch tropfenweise den Sklaven aus sich herauspreßt und wie er eines schönen Morgens aufwacht und spürt, in seinen Adern fließt kein Sklavenblut mehr, sondern echtes, menschliches …“
Tschechows Weg war alles andere als vorgezeichnet. Als Sohn eines ehemaligen Leibeigenen wusste er, was es heißt, sich aus vorgegebenen Strukturen zu befreien – nicht nur sozial, sondern auch innerlich. Dieser Kampf spiegelt sich in seinen Werken wider: Menschen in engen Verhältnissen, gefangen in Konventionen, voller unerfüllter Sehnsüchte, doch nie ohne Mitgefühl dargestellt.
Doch Tschechow war nicht nur Schriftsteller, sondern auch Arzt. Nicht aus Prestige, sondern aus Überzeugung. Er behandelte Arme kostenlos, reiste nach Sachalin, um die unmenschlichen Zustände in der Strafkolonie zu dokumentieren, und half trotz seiner eigenen Tuberkulose weiter, wo er konnte.
Sein Blick auf den Menschen blieb dabei stets frei von Ideologie: „Angst habe ich vor denen, die zwischen den Zeilen eine Tendenz suchen und die mich unbedingt als einen Liberalen oder Konservativen sehen wollen. Ich bin kein Liberaler, kein Konservativer, kein Reformanhänger, kein Mönch, kein Indifferenter. Ich möchte ein freier Künstler sein und nichts weiter (…) Ich hasse Lüge und Gewalt in all ihren Erscheinungsformen… Firma und Etikett halte ich für ein Vorurteil. Mein Allerheiligstes sind – der menschliche Körper, Gesundheit, Geist, Talent, Begeisterung, Liebe und absolute Freiheit, Freiheit von Lüge und Gewalt, worin sich die beiden letzteren auch äußern mögen.“
Seine Werke sind still, voller Zwischentöne, ohne große Dramen – und gerade darin liegt ihre Kraft. Das Leben selbst war für ihn kein starres Konzept, sondern ein ständiger Wechsel: „Immer folgt auf den Sommer der Winter, auf die Jugend das Alter, auf das Glück das Unglück und umgekehrt. Der Mensch kann nicht das ganze Leben lang gesund und fröhlich sein, immer erwarten ihn Verluste; er kann sich nicht vor dem Tode bewahren, auch wenn er Alexander der Große wäre – und man muss zu allem bereit sein und es als etwas Unausweichliches und Unumgängliches annehmen, wie traurig das auch ist.
Man muss nur nach Kräften seine Pflicht erfüllen – das ist alles.“ Ein Schriftsteller, ein Arzt, ein Beobachter der Welt, der sich nicht in Schubladen stecken ließ. Sein Blick auf den Menschen war klar, ungeschönt – und doch voller Empathie.
Tschechow formulierte diese Gedanken in Briefen an seinen Freund Alexei Suworin.