
Michelangelo – Der Künstler, der den Stein zum Leben erweckte
Beiträge . Geschichten die inspirieren . WalhallaZwischen künstlerischer Hingabe und fremdbestimmtem Schicksal. Vom jungen Bildhauer in Florenz zum Meister der Sixtinischen Kapelle stellte er sich Herausforderungen, widersetzte sich Päpsten und schuf unsterbliche Kunst.
„Schon wächst ein Kropf mir über diesem Placken…
ans Kinn ist mir der Leib wie angebacken.
Den Bart reck‘ ich gen Himmel, mit dem Nacken rückwärts gelehnt…
der Pinsel, immer überm Aug‘, ein schön Mosaiko kleckt auf die Planken …
nicht einen Strich seh‘ ich, den ich gezogen.“
Vier Jahre lag der Meißel still, während Michelangelo auf einem Gerüst arbeitete, die Decke der Sixtinischen Kapelle über sich. Mit gekrümmten Rücken, schmerzenden Gliedern und brennenden Augen, in die die Farben tropften, schuf er eines der größten Meisterwerke der Kunstgeschichte. Und doch empfand er diesen Auftrag als Qual. Er war Bildhauer, kein Maler. Vergeblich hatte er versucht, den Papst davon zu überzeugen, Raffael für diese Arbeit einzusetzen. Doch Julius II. ließ nicht mit sich verhandeln. Michelangelo konnte sich der Pflicht nicht entziehen – und wurde so zum Maler gegen seinen Willen. Die Unterschrift seiner Briefe in den vier folgenden Jahren verriet seine innere Auflehnung: „Michelangelo, Bildhauer in Rom“, schrieb er trotzig, obwohl er den Meißel für lange Zeit aus der Hand gelegt hatte.
Und doch, so sehr er diesen Auftrag verabscheute, tat er, was er immer tat: Er wollte nicht nur gute Arbeit leisten – er war bereit, mehr zu geben, als man von ihm erwartete. Während andere Meister vielleicht mit Kompromissen gearbeitet hätten, wollte Michelangelo Perfektion. Doch seine Akribie wurde zur Geduldsprobe für den Papst. Julius II. fragte immer wieder ungeduldig, wann das Werk endlich vollendet sei. Michelangelo antwortete stets dasselbe: „Wann ich kann.“
Er arbeitete bis zur Erschöpfung, nahm sich kaum Pausen und vergaß oft die Zeit. Mahlzeiten waren für ihn Nebensache, manchmal begnügte er sich mit einem Stück Brot. Er schlief selten lange, oft in seiner Kleidung, weil er sich ganz auf seine Arbeit konzentrierte. Der Druck war groß, seine Entschlossenheit größer.
Dabei hatte alles ganz anders begonnen. Mit 14 Jahren betrat er die Kunstschule im Garten Lorenzos des Prächtigen zu Florenz – und es war für ihn das Paradies. Und als er zum ersten Mal ein Stück Marmor und das Steinmetzwerkzeug in den Händen hielt, fühlte er sich, als erlebe er den ersten Schöpfungstag. Sein erstes Werk, eine Faunfigur, entstand mit jugendlicher Hingabe. Aber der Faun lachte mit kräftigen Zähnen – für Lorenzo den Prächtigen eine Unstimmigkeit:
„Du hast diesen Faun alt gemacht, aber ihm alle Zähne gelassen. Weißt du nicht, dass alten Leuten immer einer oder zwei fehlen?“
Michelangelo ließ sich das nicht zweimal sagen. Am nächsten Tag war ein Zahn mitsamt der Wurzel entfernt. Beeindruckt von dieser Beharrlichkeit nahm Lorenzo ihn in seinen Palast auf.
Was als paradiesische Freiheit begann, verwandelte sich bald in ein Leben harter Arbeit und großer Verpflichtungen. Michelangelo war keiner, der aus sicherer Distanz seine Kunst entwarf. Seine Bildhauerarbeit begann nicht in seiner Werkstatt, sondern in den Marmorbrüchen von Carrara und Pietrasanta. Er prüfte selbst das Gestein, überwachte die Arbeit der Steinmetzen, half beim Abseilen der Blöcke, legte Straßen für den Abtransport und charterte Barken für den Versand nach Rom. Manchmal wusste er selbst nicht mehr, warum er bei allen Arbeiten „bei der Baumwurzel“ anfing – er hätte doch ruhig in Florenz über Plänen und Berechnungen sitzen können. Aber nein, er stand mitten unter den Arbeitern, prüfte jede Bewegung. Jedes Stück Stein war für ihn bereits Gestalt – ein Lebewesen. Die Arbeiter lachten oft, wenn er plötzlich rief:
„Achtet auf seine Füße!“
„Verletzt nicht die Schultern!“
„Ungeschickte Teufel! Ihr habt die Nase abgeschlagen!“
Michelangelo Buonarroti war nicht der Typ, der sich still an Vorgaben hielt oder sich alles gefallen ließ. Er war eigensinnig, voller Temperament und kannte keine Nachsicht, wenn es um seine Kunst ging. 1506 kam es zum offenen Konflikt mit Papst Julius II. Michelangelo, der sich ungerecht behandelt fühlte, verließ Rom im Zorn und floh nach Florenz. Julius ließ das nicht auf sich sitzen – und drohte den Florentinern sogar mit Krieg, sollten sie Michelangelo nicht ausliefern. Erst unter diesem Druck kam es in Bologna zur Aussöhnung zwischen den beiden.
Doch Frieden fand Michelangelo nie. Er bekam immer neue Aufträge, die er nicht ablehnen konnte. Seine eigene Kunst, die Werke, die ihm am Herzen lagen, blieben liegen. Er wollte seine Skulpturen vollenden, doch Fürsten, Kaufleute, Kardinäle und Päpste rissen an ihm. Jeder wollte ein Meisterwerk von ihm, und so sprang er von einem gewaltigen Projekt zum nächsten, oft widerwillig.
Nach vier Jahren harter Arbeit hatte Michelangelo die Sixtinische Kapelle vollendet. Allerdings empfand er kaum Genugtuung. In einem Brief an seinen Vater schrieb er knapp:
„Ich habe die Ausmalung der Kapelle beendet. Der Papst ist außerordentlich zufrieden. Meine anderen Angelegenheiten gelingen nicht nach Plan und Wunsch.“
Das Unvollendete bedrängte ihn mehr, als ihn das Vollendete beglückte. Michelangelo wusste um die Macht der Kunst, um das Talent, das in ihr lag. Einmal sagte er:
„Wer diese große Kunst beherrscht, möge wissen, dass ihm eine unvergleichliche Macht untertan ist.“