Martin Luther hat „dem Volk aufs Maul geschaut“
Beiträge . Helden und VorbilderAls Deutschland in eine Vielzahl kleiner Staatsgebilde aufgespalten war, erschuf Luther ein Lebensbuch für viele Menschen und legte zugleich den Grundstein einer einheitlichen Sprachkultur. Kein anderes Buch hat den Stellenwert in der Geschichte der deutschen Sprache wie die Bibel.
Unheilverkündende Wolken färben den Himmel schwarz. Sturmböen und Starkregen peitschen über das Land. Ein einsamer Reisender ist den Naturgewalten im freien Flur ausgeliefert und versucht, dem Unwetter zu trotzen. Martin Luther reist zu Fuß von einem Besuch bei seinen Eltern zurück zur Universität Erfurt. Hier studiert er seit 1501 die „sieben freien Künste“ (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) mit dem Ziel, Jurist zu werden. In seiner Nähe schlägt ein Blitz ein, der Luftdruck schleudert ihn zu Boden. Die Elemente sind in Aufruhr und die Hoffnung Luthers, das Gewitter heil zu überstehen, ruht in den Händen der Heiligen Anna. „Hilf du, Heilige Anna, ich will ein Mönch werden!” Es war der 2. Juli 1505, Luthers Schicksalstag. Am 17. Juli begibt sich Martin Luther, zum Zorn seines Vaters, in den Augustinerorden in Erfurt. Er studiert Theologie und promoviert zum Doktor der Heiligen Schrift. Sein Kampf um die deutsche Sprache und den großen geistigen und religiösen Fragen beginnt. Denn ein Bibeltext „muss gleichzeitig verständlich zu uns sprechen und den Eindruck seines hohen Alters und seiner sakralen Dimension vermitteln“.
So wie Luther hatten auch vorangegangene Bibelübersetzer ihr Ringen mit dem Vokabular sowie mit den Kirchenmännern und Gelehrten. „Also ging es Sankt Hieronymo auch; da er die Biblia dolmetscht, da war alle Welt sein Meister, er allein war es, der nichts konnte, und es urteilten über das Werk des guten Mannes diejenigen, so ihm nicht genug gewesen wären, daß sie ihm die Schuhe hätten sollen wischen.“, urteilt Luther. Kirchenvater Hieronymus schuf um das Jahr 390 die Vulgata, die lateinische Bibel der römischen Kirche.
„Hier stehe ich und kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!“
Schon 200 Jahre vor Luther, also spätestens ab 1330, waren deutsche Übersetzungen der kompletten Bibel als Handschriften sowie in 18 verschiedenen Druckausgaben im Umlauf. Somit ist die Bibelübersetzung ins Deutsche nichts Neues. Jedoch gab es zu dieser Zeit keine einheitliche deutsche Sprache und so sind 14 Exemplare in oberdeutschen Sprachvarianten und vier in niederdeutschen gedruckt. Außerdem basierten die vorlutherischen Ausfertigungen auf der lateinischen Vulgata, in die sich im Laufe der Jahrhunderte Fehler und Anpassungen einschlichen und die in ihrer gestelzten Sprache eher Geistlichen diente.
Ungeachtet seines Standes und Ranges, sollte jeder Gläubige die Bibel lesen können und dürfen. Der Einzelne gewinne seiner Meinung nach in der Freiheit des Glaubens eine Eigenidentität, die er bisher in dieser Form nicht hatte. Als Christenmensch sei der „gemeine Mann“ ebenbürtig, gleichberechtigt und Einzelseele vor Gott. Hierarchie und Obrigkeitsstrukturen lehnte Luther konsequent ab.
So kämpfte Luther gegen die Fehlentwicklungen der damaligen römisch-katholischen Kirche. Vor allem der Betrug mit dem Ablasshandel, an dem sich die Kirche bereicherte und u. a. den Bau des Petersdoms finanzierte, missfielen ihm sehr. Luther, der die Päpste “Teufelsdiener” nannte, erklärte: Wer Gott reden hören will, der lese die heilige Schrift, wer den Teufel reden hören will, der lese des Papstes Dekrete und Bullen.”
Seine Übersetzung der Bibel basiert auf dem griechischen Urtext und versprach, das Wort Gottes rein und unverfälscht zu verkünden.
Luther als Katalysator der deutschen Sprache
Doch um die biblische Botschaft sinnentsprechend korrekt und eingängig unters Volk zu bringen, war ein überregionaler Sprachausgleich vonnöten. Niederdeutsch, Oberdeutsch, Mitteldeutsch und etliche Dialekte erschwerten die allgemeine Verständlichkeit. Beispielsweise hieß es im Niederdeutschen „minne“ und im Oberdeutschen „Liebe“.
Hölzerne Formulierungen übersetzte Luther in eine lebensnahe und bildhafte, in eine dem Volk einleuchtende Sprache.
„Man muß die Mutter im Haus, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden und danach dolmetschen; so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“
Die Schwierigkeiten der passenden Wortfindung beschreibt Luther im „Sendbrief vom Dolmetschen“: „Und ist uns wohl oft begegnet, dass wir vierzehn Tage, drei vier Wochen haben ein einziges Wort gesucht und gefragt, haben´s dennoch zuweilen nicht gefunden…“
Luthers Grundsatz beim Übersetzen war, dass der Übersetzer nicht am Wortlaut seiner Vorlage verharrt, sondern deren Sinn wiedergeben muss. „Wer deutsch reden will, der muss nicht der hebräischen Wort´ Weise führen, sondern muss darauf sehen, wenn er den hebräischen Mann verstehet, dass er den Sinn fasse und denke also: Lieber, wie redet der deutsche Mann in solchem Fall?“ Luther kämpfte mit dem rechten Ausdruck, wie er auch mit seinen Gegnern kämpfte. „Denn wer dolmetzschen will, muss große vorrat an worten haben.“
„Übersetzer dürfen nicht allein sein“
„Translatores non debent esse soli, denn ei´m einigen fallen nicht allzeit gut et propria verba zu.“ (Übersetzer dürfen nicht allein sein; denn einem einzelnen fallen nicht allezeit gute und passende Wörter ein.) Schon beim „September-Testament“ 1522, das Luther in wenigen Wochen allein auf der Wartburg übersetzte, zog er vor dem Druck als Fachmann für das Griechische Philipp Melanchton heran. Ebenso unterstützten ihn die Wittenberger Theologie-Professoren Matthäus Aurogallus sowie Caspar Cruziger als Experten für das Hebräische. Trotz dieser und viele weiterer „Gehülfen“ lag die letzte Entscheidung bei Luther selbst. „Was wir darüber gelitten, getan und dran gewandt, das soll niemand erkennen, denn des die Gaben sind und der durch uns unwürdige, elende, arme Werkzeug solchs gewirkt hat. Dem sei allein die Ehre, Lob und Dank in Ewigkeit. AMEN.“
„Sendbrief vom Dolmetschen“
Der Sendbrief vom Dolmetschen ist eine Art Offener Brief, den Luther um 1530 auf der Veste Coburg verfasste. Als Flugschrift, eine Art Fürsprache für verständliches Deutsch, erläutert und rechtfertigt Luther seine Vorgehensweise beim Übersetzen der Bibel.
„Wer am Wege bauet, der hat viel Meister. Also gehet mir’s auch. Diejenigen, die noch nie haben recht reden können, geschweige denn dolmetschen, die sind allzumal meine Meister, und ich muss ihrer aller Jünger sein. (…) Darum gehöret große Geduld dazu, wenn jemand etwas öffentlich Gutes tun will; denn die Welt will Meister Klüglin bleiben und muss immer das Ross vom Schwanz her aufzäumen, alles meistern und selbst nichts können. Das ist ihre Art, davon sie nicht lassen kann.“
Dank Luthers tiefer Vertrautheit mit dem Wort und seinem lebendigen Sprachgefühl wurde seine Bibelübersetzung für Jahrhunderte zu einem deutschen Volksbuch, das die Menschen im Leben und im Sterben begleitete. Zu seinen Lebzeiten wurden ca. 500.000 Lutherbibeln gedruckt – in Deutschland lebten zu dieser Zeit 12-15 Millionen Menschen und eine Bibel hatte den Gegenwert von 2,5 Rindern.
Die Leser lernten Sprachformen kennen, die nicht mit denen identisch waren, die sie in ihrer alltäglichen Redeweise verwendeten und so bildete sich eine relativ einheitliche Schrift- und Hochsprache heraus. Das Einheitsdeutsch setzte sich schließlich nach ca. 300 Jahren durch und biblische Ausdrücke bürgerten sich auch im weltlichen Bereich ein. Zu den geflügelten Worten der Lutherbibel zählen der Lückenbüßer, Feuereifer, Herzenslust aber auch der Schandfleck oder das Lästermaul. Metaphern wie „Perlen vor die Säue werfen“, der „Wolf im Schafspelz“ oder „die Zähne zusammenbeißen“ gehen ebenfalls auf Luther zurück.
„Für meine lieben Deutschen bin ich geboren, ihnen will ich dienen!“, bekannte der Reformator und Phillip Melanchton verkündete bei Luthers Begräbnis: „Auch wenn er gestorben ist – er lebt!“.