Der „Voltaire der Deutschen“: Christoph Martin Wieland

Wielands Name steht für die moderne deutsche Prosa, für die deutschsprachige Oper und für politischen Journalismus. Durch seine Übersetzungen von Shakespeare, Horaz und Cicero prägte er die deutsche Sprache und er war Begründer der Weimarer Klassik.

Bin ich gewesen, was ich sein wollte? Hab ich gewirkt, was ich wirken wollte? Hab ich mit den Kräften, die mir die Natur verlieh, als ein treuer Weltbürger so gut Haus gehalten, wie es mir unter den Umständen, die nicht von meiner Willkür abhingen, möglich war? War mein Zweck rein? War er der beste unter allen, die ich mir vorsetzen konnte? Hab ich ihn auf dem geradesten Wege, durch die einfachsten, sichersten und edelsten Mittel zu erreichen gesucht? Kann ich, wenn ich mein ganzes langes Leben hinter mir zurückschaue, mit mir selbst zufrieden sein? (…)“. Diese Zeilen, die Wieland in seinem Roman „Agathodämon“ schreibt, sind bezeichnend für das Leben und Werk des Autors selbst.

Christoph Martin Wieland war der vielseitigste deutsche Dichter, Schriftsteller und Publizist im 18. Jahrhundert. Er war Deutschlands erster Bestseller-Autor, einige Zeit lang der meistgelesene und bestbezahlte deutsche Schriftsteller. Wieland schrieb elf Romane, eine Vielzahl an Essays, 40 Verserzählungen und Versepen, zehn Autoren hat er übersetzt, Dramen und Libretti verfasst, Märchen und Novellen sind aus seiner Feder geflossen, er war Journalist und Herausgeber und schließlich hat er etwa 14.000 Briefe geschrieben. Bereits zu seinen Lebzeiten wurden seine Werke in 13 Sprachen übersetzt.

„Kinder und Bücher zugleich machen, ist zu toll – nicht wahr? (…) Also fahren wir in Gottes Namen immer fort, beides zu machen, so lang´s Zeug hält, und wir Freude daran haben.“

In den 36 glücklichen Ehejahren schenkte ihn seine Frau Anna Dorothea vierzehn Kinder.

Obwohl Wieland maßgeblich die deutsche Alltagssprache und die deutsche Kultur prägte, ist er heute, im Zeitalter der Massenliteratur, einer der am wenigsten bekannten deutschen Schriftsteller. Als hätte er diese Entwicklung vorausgesehen, sagte Wieland selbst gegen Ende seines Lebens, dass sein Name „im 19. Jahrhundert nichts bedeuten werde“.

Die Übersetzungen

Ein bedeutender Teil von Wielands Werk sind seine Übersetzungen. In Biberach übersetzte Wieland zwischen 1761 und 1766 insgesamt 22 Dramen von Shakespeare. Dadurch erreichten diese Werke ein breites Publikum und wurden in Deutschland bekannt. Als eine Art Nebeneffekt bereicherte er bei der Übersetzung die deutsche Sprache. Zu Wielands Wortschöpfungen gehören zum Beispiel: Abschied nehmen, kaltherzig, humoristisch, Todesstimme, Anziehungskraft, heimatlos, Beobachter, scharfzüngig.

„Shakespearen zu übersetzen war in jenen Tagen ein kühner Gedanke, weil selbst gebildete Literatoren die Möglichkeit leugneten, daß ein solches Unternehmen gelingen könne. Wieland übersetzte mit Freiheit, erhaschte den Sinn seines Autors, ließ beiseite, was ihm nicht übertragbar schien, und so gab er seiner Nation einen allgemeinen Begriff von den herrlichsten Werken einer andern, seinem Zeitalter die Einsicht in die hohe Bildung vergangener Jahrhunderte.“, äußert Goethe in „Zu brüderlichen Andenken Wielands“

Während seiner Weimarer Zeit widmet sich Wieland Horaz, Lukian und Xenophon sowie Euripides und Aristophanes. Zuletzt, im Alter von 73 Jahren hegt er den Wunsch, „irgendeine große, schwere und mühselige, aber mir mit allem dem angenehme und zu meinen gewohnten Studien passende Geistesarbeit zu unternehmen“. So beginnt er 1806 mit der Übersetzung sämtlicher Briefe Ciceros, in der Hoffnung, „daß sie mir durch Lust und Liebe zur Sache und durch die mit der Ausführung selbst notwendig verbundene unvermerkte Steigerung meiner Kräfte vielleicht so weit gelingen dürfte, daß ich die Welt mit dem Troste verlassen könnte, die letzten Jahre oder Tage meines Lebens nicht ohne alles Verdienst…zugebracht zu haben.“

Professor Primarius Philosophiae

Bevor Wieland an den Weimarer Hof kommt, ist er erster Professor für Philosophie an der Universität in Erfurt. Er soll zur Reform und Modernisierung der Universität beitragen und nicht wenige Studenten ließen sich allein wegen Wielands Namen nach Erfurt locken. Zu seiner ersten Vorlesung am 03.07.1769 kamen 300 Studenten. Die, für die damalige Zeit ungewöhnlich hohe Anzahl sank schnell herab. Denn Wieland war zwar „modern“, jedoch nicht gerade anspruchslos. Er las über „die Geschichte der Menschheit“, „die Geschichte der Philosophie“, über „Theorie und Geschichte der schönen Künste“, über „Krankheiten und Laster der menschlichen Seele“, über die antike Atomlehre und Werke Ciceros und Horaz.

Doch Erfurt wird für Wieland zu „einem verhaßtem Neste“, die sittenlosen Studenten sind ihm zuwider und über die Universität schreibt er am 17. Februar 1770 an Sophie La Roche: „..daß man leichter Mohren weiß waschen, als die Erfurter Universität empor bringen könnte. Man soll den Pelz waschen, aber er soll nicht nass werden.“

Nicht ungelegen kommt also Anfang 1772 die Einladung der Weimarer Regentin Anna Amalia. Wieland ist zu dieser Zeit der bekannteste deutsche Autor und führender Intellektueller. Er soll Mentor werden für ihre Söhne, den 14-jährigen Thronfolger Carl August und den 13-jährigen Konstantin.

Am 22. März 1772 schreibt Wieland an Anna Amalia: „Bei den Prinzen hängt alles davon ab, daß sie es sich zur Gewohnheit machen, nie zu vergessen, daß sie Menschen sind, und daß sie folglich überall ihresgleichen sehen.“ Am 18. September 1772 zieht Wieland als Prinzenerzieher nach Weimar.

„Es gibt eine Art von Ehrgeiz, die zu den Pflichten eines jeden Mannes von Ehre gehört; und das ist der Ehrgeiz, es richtig zu machen.“ Wieland am 19. Juli 1772 an Anna Amalia.

Wieland als Prinzenerzieher

Bei Wielands Ankunft besteht Weimar aus etwa 6000 Einwohnern, zwei Kirchen und einem Schloss. Abgesehen von einer großen Bibliothek unterscheidet es sich nicht von vielen anderen deutschen Kleinstädten. Herzogin Anna Amalia regiert seit 1759 anstelle ihres unmündigen Sohnes Carl August. Bis zu seinem Regierungsantritt 1775, soll Wieland den zukünftigen Herrscher auf seine Aufgabe vorbereiten.

Sein Ziel war, Carl August zu einem aufgeklärten Herrscher mit Herz und Gefühl für seine Untertanen heranzubilden. An Anna Amalia schrieb er: „Der wirkliche Ruhm eines Herrschers besteht darin, sich selbst und sein Land gut regieren zu können, alle seine Pflichten zu erfüllen, sein Volk so glücklich wie möglich zu machen, von denen, die mächtiger sind als er soweit wie erreichbar unabhängig zu bleiben, seine Wünsche zu mäßigen, schließlich Philosoph und Christ zu sein und nie den Augenblick zu vergessen, an dem er Gott, dem allerhöchsten Herrscher, Rechenschaft darüber abgeben muss, in welcher Weise er von seiner Macht, Gutes und Böses zu tun, Gebrauch gemacht hat“.

Carl August wurde zu einem der fortschrittlichsten und populärsten Regenten seiner Zeit. Als erstes deutsches Land erhielt Sachsen-Weimar-Eisenach 1816 eine landesständische Verfassung, die u. a. die Pressefreiheit und das Recht der freien Meinungsäußerung gewährte. Im Jahr 1821 erließ er ein fortschrittliches Einkommenssteuergesetz und er erlaubte die Gründung der Burschenschaft 1815 und die Abhaltung des Wartburgfests 1817. Carl August machte Weimar zu einem Musterstaat.

Die Geburtsstunde der Weimarer Klassik

Wieland hegte große Pläne für das ländliche Weimar. Die Kleinstadt sollte ein neues kulturelles Zentrum werden, das weit über die Grenzen des Fürstentums Bedeutung erlangt. So verwirklicht er kurz nach seiner Ankunft zwei Pläne. Er gründet eine literarisch politische Zeitschrift „Der Teutsche Merkur“und er schreibt für den Weimarer Hof die erste deutschsprachige Oper, „Alceste“, vertont von Anton Schweizer.

Durch Wielands Wirken wird Weimar für Goethe attraktiv genug, um 1775 der Einladung durch Herzog Carl August zu folgen. Wieland und Goethe holen 1776 Herder nach Weimar, 1799 folgt Schiller. Diese einzigartige Konstellation wird später die Weimarer Klassik genannt.

„Sein Äußeres hat mich überrascht. Was er ist, hätte ich nicht in diesem Gesicht gesucht – doch gewinnt es sehr durch den augenblicklichen Ausdruck seiner Seele, wenn er mit Wärme spricht“, schreibt Schiller von seinem ersten Treffen mit Wieland.

Nach dem Tod Wielands bezeugt Goethe in seiner Autobiografie „Aus meinem Leben -Dichtung und Wahrheit“: „Wieland besaß unter allen das schönste Naturell.“

„Der Teutsche Merkur“

Ich bin entschlossen eine Art von Journal zu entrepeniren, welches einige Ähnlichkeit mit dem „Merkur de France“ haben soll. Prosaische Original-Aufsätze, Litterarische Nachrichten, Recensionen und Revisionen unrichtiger Urtheile über interessante Schriften, sollen die Haupt-Artikel davon ausmachen.“ Zudem sollte das neue Journal so geschrieben sein, „daß es nicht für Gelehrte allein, sondern auch für Damen und Edelleute interessant würde“.

„Der Teutsche Merkur“ (1773-1789) und „Der Neue Teutsche Merkur“ (1790-1810) widmeten sich aktuellen literarischen, politischen und wirtschaftlichen Ereignissen. „Das Attische Museum“ (1796-1802) und „Das Neue Attische Museum“ (1805-1809) war hauptsächlich der Antike gewidmet.

Die erste Rubrik, die konstant über zwei Jahre jeden Monat erschien, war die von Wieland initiierte Reihe über historisch bedeutende Persönlichkeiten. Auch andere Gelehrte, zum Beispiel Johann Gottfried Herder schrieben regelmäßig Beiträge für dieses Format.

„Der Teutsche Merkur“ war die langlebigste Kulturzeitschrift jener Jahre und das einflussreichste und meist diskutierte deutsche Periodikum. Vor allem während der Französischen Revolution war „Der Neue Teutsche Merkur“ eine der wichtigsten Zeitschriften, in denen das Pro und das Contra der Ereignisse intensiv und ausgewogen erörtert wurden. Seine Leser sollten sich eine eigene Meinung bilden, denn darin sah Wieland die Aufgabe des politischen Journalismus. „Der Himmel verhüte, dass ich von irgend einem denkenden Wesen verlange, mit mir überein zu stimmen, wenn er von der Richtigkeit meiner Behauptungen oder Meynungen nicht überzeugt ist; oder daß ich jemahls fähig werde, jemandem meinen Beyfall deßwegen zu versagen, weil er nicht meiner Meynung ist.“, schreibt Wieland in „Der Neue Teutsche Merkur“ im Mai 1794.

Am 06. Oktober 1808 lädt sich Napoleon „zu Jagd und Tafel“ selbst nach Weimar ein. Beim abendlichen Ball im Schloss lässt er nach Wieland schicken, dem Mann, der seinen Aufstieg vorausgesagt hatte. Der greise Dichter erscheint ohne Perücke, ungepudert und schlicht gekleidet. Beide unterhielten sich anderthalb Stunden wie alte Bekannte. Napoleon würdigte den greisen Dichter und bezeichnete ihn als „Voltaire Deutschlands“.

Die „Freyheit der Presse“

Die Ereignisse in Frankreich führten zu einer Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland. Doch für Wieland war die Freiheit der Presse die Grundbedingung aller politischen Freiheit. So schrieb er in „Der Teutsche Merkur“ im September 1785:

„Freyheit der Presse ist Angelegenheit und Interesse des ganzen Menschen-Geschlechtes. Dieser Freyheit hauptsächlich haben wir den gegenwärtigen Grad von Erleuchtung, Kultur und Verfeinerung, dessen unser Europa sich rühmen kann, zu verdanken. Man raube uns diese Freyheit, so wird das Licht, dessen wir uns jetzt erfreuen, bald wieder verschwinden; Unwissenheit wird bald wieder in Dummheit ausarten, und Dummheit wird uns wieder dem Aberglauben und dem tyrannischen Despotismus preisgeben.“

„Die irdische Verstrickung lösen“

Im Januar 1813 bekam Wieland einen leichten Schlaganfall, von dem er sich zunächst zu erholen schien. Doch dann verschlimmert sich sein Zustand. Er spricht im Fieber, zitiert Shakespeares bekannten Vers „Sein oder Nichtsein…“ auf Deutsch und Englisch. Kurz vor Mitternacht des 20. Januar tat er seinen letzten Atemzug.

Ganz Weimar war von der Todesnachricht bewegt. Viele Bürger, Freunde und Verehrer statteten ihm einen letzten Besuch ab.

„Unsre größte Angelegenheit ist, zu wissen, wer wir selbst sind, wo wir sind, und wozu wir sind. Hierin führen uns unsre Sinne mit Hilfe unsrer Vernunft gerade so weit, aber nicht einen Schritt weiter, als nötig ist, um einzusehen, dass wir in diesem kurzen Dasein unsern Wünschen und Bestrebungen kein höheres Ziel setzen können, als selbst glücklich zu sein und so viel Glück als möglich um uns her zu verbreiten. Weiter reicht unser Vermögen nicht.“  (Geschichte des Agathon, III. Teil)

 

Auf meinem Gan Jing World-Kanal: https://ganjing.one/BettinasJungbrunnen findet ihr ein kurzes Video über Christoph Martin Wieland.